Das Ding mit der Individualdistanz oder „Rufen Sie bitte Ihren Hund hier weg“

Was bedeutet eigentlich der Begriff Individualdistanz?

Individualdistanz ist ein Begriff aus der Verhaltensbiologie. Er beschreibt die Entfernung, die ein Individuum zwischen sich und dem anderen der gleichen Art duldet, ohne Ausweich-, Flucht- oder Angriffsreaktion auszulösen. Ein Unterschreiten führt zu Drohen, Angriff und/oder Ausweich-/Fluchtverhalten. Die Individualdistanz ist artspezifisch. Z.B.: Schafe als Herdentiere sind immer dicht beisammen, und in Gefahrensituationen umso mehr. Eisbären z.B. sind typische Einzelgänger mit riesigen Revieren. Die Individualdistanz ist auch situationsabhängig: Paarungszeit, Gefahren, schwindende Ressourcen.

Das Setzen der Grenze geht immer von dem Individuum aus, dessen Grenze ggfs. überschritten wird.

Und nun zum Thema, Individualdistanz bei unseren Haushunden.

Bekanntlich stammen unsere Hund vom Wolf ab und der wiederum lebt bekannterweise in Rudeln, wobei diese i.d.R. aus Familienmitgliedern bestehen. Wölfe sind also Kontakttiere, lassen Nähe zu und suchen diese auch in der Gruppe. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die einzelnen Wolfsrudel möglichst große Distanzen zu fremdem Rudeln halten, eben um Konflikte um Ressourcen zu vermeiden. Gleiches lässt sich unter wildlebenden Strassenhunden beobachten, die einzelnen Individuen leben so miteinander, dass zumeist die individuellen Grenzen gewahrt sind.  Mehrhundehalter können das auch für ihre Haushunde bestätigen.

Im übrigen gilt all das, in abgewandelter Form auch für Menschen: Jemand, den ich kenne und mag, lasse ich dichter an mich heran, als jemand, den ich entweder nicht kenne, mit dem ein Konflikt bestand oder besteht. Dazu kommen wie bei Tieren auch noch andere Faktoren: Umgebung, persönliches Befinden, Persönlichkeit. In einem dunklen Park dürfte die Individualdistanz deutlich höher sein als in der U-Bahn im morgendlichen Berufsverkehr.

Nun haben wir es in der Welt der Haushunde in der Regel nicht mit dem Thema Nähe und Distanz innerhalb einer gewachsenen Gruppe, sondern i.d.R. mit fremden Artgenossen zu tun und, genauso wichtig, mit Hunden, die zumeist keine individuellen Entscheidungen treffen können, wie sie Begegnungen und Konflikte managen.

Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass unerwünschte, unschöne Hundebegegnungen das absolute Thema Nr. 1 ist, wenn Hundehalter sich treffen. Doch ich denke, da gibt es auch die anderen, die keinerlei Verständnis dafür haben, dass ihr Hund unerwünscht ist, die die Auffassung vertreten, dass Hunde alles unter sich regeln (klar, kann man so sehen, wenn man bereit ist, das Risiko ernsthafter Konsequenzen in Kauf zu nehmen), diejenigen, die ihre Hunde nicht abrufen können oder wollen.

Distanzunterschreitungen führen meist zu Konflikten. Wie die ausgetragen werden und mit welchem Ergebnis, ist abhängig von den Kontrahenten.

Die Faktoren sind vielfältig:

die Vehemenz des Unterschreitens – beispielsweise knallt ein Hund ungebremst in die eigenen Hunde

die  Bereitschaft des eigenen Hundes, diesen Hund mit robusten Mitteln wieder auf die gewünschte Distanz zu bekommen oder eben auch, die Bereitschaft zur Konfliktvermeidung mittels z.B. Flucht

das Einwirken der Hundebesitzer.

An dieser Stelle könnte eine lange Abhandlung folgen, warum Hunde die individuelle Distanz von anderen unterschreiten (ich meine jetzt nicht die Begegnung an der Leine auf einem schmalen Weg), doch das würde hier tatsächlich zu weit führen, dazu gibts ja auch jede Menge Fachliteratur und so manchen wirklich guten Trainer.

Ich persönlich würde es erstmal richtig schön finden,

wenn Hundebesitzer dafür Sorge tragen dass ihre Hunde einerseits dem Bedürfnis nach intraartlicher Kommunikation frönen dürfen und gleichzeitig Begegnungen mit fremden Individuen so managen, dass es zum Wohle aller ist,

wenn Hundebesitzer nicht die weit verbreitete Meinung vertreten „die machen das unter sich aus“ (Verlierer sind immer diejenigen, die nicht stand halten können),

wenn Hundebesitzer nicht so häufig ein hohes Mass an Ignoranz für das Tun ihrer Hunde pflegen,

wenn Hundebeitzer ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass eben nicht alle Hunde auf engem Raum sich bedrängen lasssen, ohne sich zu wehren.

Das im Übrigen würde sicher auch die Nichthundehalter erfreuen, denn die haben mit dem ganzen Thema ja nun gar nichts zu tun.

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